Die historische Abteilung der großen Berliner Kunstausstellung
am Lehrter Stadtbahnhof war kein
offiziell der Jahrhundertausstellung zughöriger Ausstellungsteil.
Man kann sie nicht eigentlich als einen weiter in die Gegenwart reichenden Teil
derselbigen betrachten, da die Organisatoren in der Auswahl der Maler andere
Schwerpunkte setzten. Von den Veranstaltern
wurde die retrospektive Abteilung ausdrücklich nicht als Konkurrenzunternehmen zur
Jahrhundertausstellung betrachtet. Die ,, zu veranstaltende
Ausstellung beabsichtigt[e] dagegen eine streng der deutschen
Kunstgenossenschaft und der ihr angehörigen Künstler``
verpflichtete Veranstaltung.
Der Zeitrahmen, welcher dafür festgelegt wurde, war zwischen 1856 und 1886.
,, Beide Ausstellungen können hiernach, wenn sie sich auch in einzelnen
Darbietungen berühren, völlig unabhängig nebeneinander
bestehen.``
Eben diese Berührungsmöglichkeit mochte die Leitung
veranlaßt haben, dem Vorstand der Jahrhundertausstellung das
Angebot zu machen, die Werke, welche dort keinen
Platz mehr fanden, jedoch zeitlich in den Rahmen der Abteilung paßten, zu
übernehmen. Da eine Hängung aller zur Jahrhundertausstellung eingegangenen Werke
in der Tat nicht möglich war und dies
auch zu Diskrepanzen zwischen der Ausstellungsleitung und den Leihgebern
führte
, kam eine solche
Anfrage der Großen Berliner Kunstausstellung als willkommene Gelegenheit,
die Platznot, welche sich trotz der hinzugekommenen Räumen im Neuen Museum
noch immer stellte, wenigstens teilweise zu reduzieren. Daß die retrospektive
Abteilung von den schwerpunktmäßig ausgestellten Künstlern und der damit
verbundenen eher akademischen Formensprache den Intentionen der
Jahrhundertausstellung nicht entsprach, scheint in diesem Moment nicht von so
herausragender Bedeutung gewesen zu sein, als das man eine Hergabe der für die
eigene Ausstellung reservierten Werke ablehnte.
Die Leitung der
historischen Abteilung oblag den Malern Wilhelm Beckmann und
Franz Hoffmann-Fallersleben.
Das Ansinnen für die Einrichtung dieser Abteilung lag darin, alle wichtigen
Maler, die ihre Hauptschaffenszeit in den Jahren von 1856 bis 1886
hatten, mit wesentlichen Werken zu präsentieren. Dabei wollte man auch dem
Mangel, der in den
auf der Jahrhundertausstellung nicht gezeigten, jedoch für die
Kunstentwicklung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als wichtig erachteten
Malern wie Carl Theodor Piloty, Hans Makart oder Heinrich von Angeli bestand,
abhelfen. ,, Um die Lücken dort auszufüllen, beschloß die
Leitung der Großen Berliner Kunstausstellung im Glaspalast am Lehrter Bahnhof
vorzuführen, und hier die Hauptwerke der bei Tschudi ausgelassenen Künstler
zu zeigen.``
Sollte
die Frage, warum diese Maler auf der Jahrhundertausstellung nicht oder nur
spärlich vertreten
waren, nicht aufgekommen sein? Viel eher ist denkbar, daß man durch das
Hinzuziehen von Werken aus der Jahrhundertausstellung die eigene Abteilung in
den Rahmen des gößeren Unternehmens stellen und die eigene Auswahl damit
in diesen Zusammenhang sehen wollte. Damit rückte man die oben genannten
Maler, die ausdrücklich in der Nationalgalerie nicht oder nur sehr
spärlich vertreten waren, in die
Linie der zum Teil wiederentdeckten Maler und damit in die Linie einer neuen
Kunstgeschichtsschreibung der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts.
Um die eigentlich für die Jahrhundertausstellung eingereichten Werke in die
Historische Abteilung geben zu können, mußte die Erlaubnis der Leihgeber
eingeholt werden. In einem allgemeinen Schreiben an diese wurde die prekäre
Platzsituation dargestellt und der Vorschlag gemacht, die Werke am Lehrter Bahnhof
aufzuhängen. ,, Wir sehen uns daher vor der Alternative, entweder die
Besitzer zu bitten, die Sendungen zurückzuziehen oder einen weiteren Platz zur
Ausdehnung zu gewinnen. Wir glauben den Interessen der deutschen Kunst zu
dienen, indem wir den zweiten Weg wählen.``
Ein Anliegen der privaten Leihgeber war es vermutlich auch, das sich in
ihrem Besitz befindliche Werk durch eine Präsentation auf der
Jahrhundertausstellung einer ,, Erhebung`` als kunsthistorisch
bedeutendes Gemälde zu unterziehen. Dies konnte auch in pekuniärer
Hinsicht bei einem eventuellen Verkauf interessant gewesen sein. So war ein
solches Angebot, wenn auch nicht das eigentlich erstrebte Ziel, eine
Alternative, mit der man sich anfreunden konnte. Der Bezug zur
Jahrhundertausstellung war gegeben und auch im Katalog der Großen Berliner
Kunstausstellung noch einmal deutlich gemacht.
,, Ein Teil der Bilder ist mit Genehmigung der Eigentümer und der Leitung der
deutschen Jahrhundert-Ausstellung in der Kgl. Nationalgalerie aus den Werken
ausgewählt worden, die dort wegen Platzmangels nicht zur Ausstellung gelangt
sind.``
Eine
ausdrückliche Kennzeichnung der übernommenen Werke im Katalog wurde jedoch
nicht vorgenommen, was die Feststellung des Anteils der aus der
Jahrhundertausstellung entnommenen Bilder nicht mehr möglich macht. Auch
könnte dies ein weiteres Indiz dafür sein, daß man die eigene Abteilung in Zusammenhang
oder als Ergänzung zur Jahrhundertsausstellung sah und damit eine direkte
Trennung zwischen beiden Unternehmen nicht mehr sichtbar machen wollte.
Die historische Abteilung der am 28. April 1906 eröffneten Ausstellung
erstreckte sich über neunzehn Räume. In
diesen Räumen wurden mehr als 750 Werke gezeigt. Dies entsprach etwa einem Viertel
aller in dieser Ausstellung gezeigten Kunstwerke und unterstreicht die
Bedeutung, die man dieser Abteilung beimaß.