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Intentionen

Die 1906 durchgeführte Jahrhundertausstellung stellte das Ergebnis eines zweiten Anlaufs dar. Bereits 1897 waren sich  Alfred Lichtwark, Hugo von Tschudi  und  Woldemar von Seidlitz bei einem Treffen über die Bedeutung einer solchen Ausstellung einig gewesen. Als Zeitpunkt war das Jahr 1900 ins Auge gefaßt worden.gif Maßgeblich für die Auswahl des Zeitpunktes wird die französische Centenale gewesen sein, die im gleichen Jahr stattfinden sollte. Die Ausstellung kam 1900 nicht zustande, oder wie Alfred Lichtwark es ausdrückte: ,,... und obwohl in Berlin die maßgebenden Behörden des Reichs und Preußens das dankenswerteste Entgegenkommen bewiesen, zeigte sich bei den ersten Vorarbeiten, daß die Zeit für die Durchführung noch nicht gekommen sei.``gif Warum es letzendlich wirklich scheiterte, kann bis heute nicht gesagt werden. Ein Grund dafür mag gewesen sein, daß sich Tschudi ,, trotz allen Zuredens``gif zur Organisation einer solchen Ausstellung noch nicht bereit erklärte. Seine ablehnende Haltung mag auch durch das Bewußtsein bestärkt worden sein, daß eine solche Ausstellung in wesentlichen Punkten von dem abweichen würde, was bisher als die bedeutende deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts bezeichnet wurde.

Außerdem existieren zur Frage, wer nun die eigentliche Idee zu dieser Ausstellung hatte, sich widersprechende Angaben. Hermann Uhde-Bernays nennt Julius Meier-Graefe als den eigentlichen Initiator.gif Kenworth Moffet gibt Lichtwark den Vorzug.gif Man kann jedoch annehmen, daß angesichts der anstehenden Centenale in Paris im Jahre 1900 die Idee einer solchen Ausstellung in einigen Köpfen reifte und das die etwa übereinstimmenden ästhetischen Prinzipien zwischen den letztendlichen Organisatoren die Kraft bündelte und zu ersten Schritten führte. Die Größe der Ausstellung mit über 3000 Exponaten erscheint aus heutiger Sicht gewaltig. Sie ordnet sich jedoch in eine Größenordnung ein, die angesichts der Akademieausstellungen mit oftmals mehr als 2000 ausgestellten Werken ein durchaus normales Maß darstellte. Der Unterschied zu den akademischen Ausstellungen war die Qualität der ausgestellten Werke, die den Ansprüchen der Organisatoren von Tschudi, Lichtwark und von Seidlitzs entsprechen mußte und die Tatsache, daß es sich um eine kunsthistorische Ausstellung solchen Ausmaßes handelte.

Die 1896/97 aufgegebene Idee der Jahrhundertausstellung wurde Anfang 1900 wieder aufgegriffen. Hugo von Tschudi  hatte die Centenale in Paris besucht und einen Artikel in der Zeitschrift ,, Kunst für Alle``gif veröffentlicht. Darin analysiert er die Präsentation zur französischen Kunst auf der Centenale und gibt gleichzeitig Einblick in seine Vorstellung von einer solchen Ausstellung. Generell bemerkte er zur französischen Ausstellung: ,, Unter dieser Masse fanden sich Dinge von höchstem Interesse, als Ganzes stand die Veranstaltung nicht auf der Höhe ihrer Aufgabe``gif. Von Tschudi fehlte die kunsthistorische Dimension, das Darstellen einer Entwicklungslinie, die durch die sie repräsentierenden Maler dokumentiert und verdeutlicht wird. Sehr deutlich formuliert er bereits in diesem Artikel die Grundsätze, die dann in seinen Augen für die Jahrhundertausstellung 1906 in Berlin galten: ,, Da man nicht Alles haben konnte, hätte man sich auf das Entscheidende beschränken müssen. Auf die wirklich künstlerischen Persönlichkeiten, auf jene Meister, die für die Entwicklung der Kunst etwas zu bedeuten haben, auf die Verkannten, die spät Erkannten und auch die Ungekannten.``gif Genau diese Ungekannten und Verkannten standen dann auch 1906 in Berlin im Mittelpunkt und zeichneten damit ein neues, anderes Bild von der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts. Von Tschudi schreibt weiter: ,, Wie deutlich hätte sich das konsequente, das ganze Jahrhundert beherrschende Ringen nach einer über alle Tradition hinausgehende Naturwiedergabe, die Stellung und Lösung neuer künstlerischer Probleme gezeigt`` .gif Die auf der Centenale so vermißte Darstellung einer an malerischen Ausdrucksweisen orientierten Entwicklungslinie sollte in Berlin verfolgt und auch gezeigt werden. Das entscheidende Kriterium für die Jahrhundertausstellung war in von Tschudis Augen nicht mehr der Inhalt, sondern die malerische Form. Wilhelm Waetzold schrieb zu den Bewertungskriterien Hugo von Tschudis: ,, Seine Betrachtungsart war absichtslos, nicht nach dem Bildungswert des Kunstwerkes fragte er, sondern nach der Qualität`` .gif

In  Hugo von Tschudis Augen lag die zu zeigende Linie zum größten Teil außerhalb der Kunstakademien. Gerade in seinem Einführungstext zum zweibändigen Katalog versetzt er der akademisch orientierte Kunstgeschichtsschreibung noch manchen Seitenhieb und bezeichnet neue Kriterien zur Bewertung der Kunst. Nicht die akademische Malerei war Gegenstand des Interesses, sondern die Künstler, die sich vornehmlich aus eigener Kraft entwickelt und damit einen ursprünglicheren und eigenen Duktus in ihrer Malweise gefunden hatten. Die Akademien waren in von Tschudis, ähnlich wie in Lichtwarks Augen, nur eine Prdouktionsstätte des Künstlerproletariats ohne Rang. ,, Und da in Deutschland die Akademien fast unbegrenzt herrschten, so war auch das Bild der deutschen Kunst im wesentlichen von diesen Richtungen bestimmt. Dieses Bild aber war ein falsches, zum mindesten unvollkommenes, denn es fehlte ihm der gesundeste und lebensvollste Teil der künstlerischen Produktion. Dieses Bild zu vervollständigen, war die Aufgabe der Jahrhundert-Ausstellung``gif. Was von Tschudi hier mit sanfteren Worten formulierte, trifft sich im Sinn mit den radikaleren Worten Lichtwarks: ,, Mir liegt daran, daß diese Ausstellung den großen Schlag gegen den akademischen Unterricht führt``gif.

Ein weiterer Punkt darf nicht vernachlässigt werden. Die Jahrhundertausstellung stellt in ihrer Gesamtheit ein von offizieller Seite befürwortetes und unterstütztes Unternehmen dar. Diese Unterstützung wurde, wie noch zu zeigen ist, vermutlich durch eine immer wieder angesprochene nationale Bedeutung wenn nicht erreicht, so doch mindestens wesentlich vorangetrieben.gif

 Hugo von Tschudi,  Alfred Lichtwark und  Julius Meier-Graefe, der hier schon als einer der Mitorganisatoren genannt sei, kannten aus eigener Erfahrung die Art und Weise, wie man sich der Unterstützung der offiziellen Stellen versichern konnte, ohne die sie die Ausstellung nie hätten durchführen können. Ob beide Seiten den Begriff ,, nationale Bedeutung``\ mit dem gleichen Inhalt verbanden, mag bezweifelt werden. In einer Zeit, da der Streit um die angebliche Bevorzugung der mit Frankreich und frankophilen Kunstfreunden in Verbindung gebrachten impressionistischen Kunst heftigst brannte, kam sicher erleichternd hinzu, daß es sich um deutsche Kunst handelte und sich der Zeitraum nur bis 1875 erstreckte. Die aktuelle Diskussion war damit scheinbar ausgeklammert. Wenn aber Max Liebermann trotzdem mit zwanzig Werken vertreten war, so stellte sich ein Bezug zur Gegenwart doch wieder her. Die von Liebermann und seinen Mitstreitern vertretene Auffassung von Malerei wurde in die Linie einer deutschen Kunstgeschichte gestellt, die sich an malerischer Qualität orientierte und durch die Jahrhundertausstellung gezeigt werden sollte. Der Vorwurf, daß die Ausstellung sezessionistischen Malern den Vorzug gab, bezog sich dann auch auf die unterste Etage, die Werke von Max Liebermann und Wilhelm Trübner zeigte.

Der Bezug zur modernen zeitgenössischen Kunst manifestiert sich außerdem schon allein in den Organisatoren. Hugo von Tschudi war dafür bekannt, daß er sich für französische und deutsche Kunst des Impressionismus einsetzte.gif  Julius Meier-Graefe war in akademischen Kreisen ein rotes Tuch. Sein Einsatz für den Impressionismus manifestierte sich in zahlreichen Artikeln und Büchern, die immer wieder Anlaß zu heftigen Diskussionen und teilweise antisemitischen Angriffen boten.  Sein Buch ,, Der Fall Böcklin``gif entfachte kurz vor Eröffnung der Ausstellung einen wahren Sturm der Entrüstung, als er exemplarisch an Adolph von Menzel und Arnold Böcklin die Kunst unter dem Blickwinkel seiner Vorstellung von malerischen Qualität betrachtete und Böcklins Frühwerk wesentlich höher einschätzte als das Spätwerk. Hinzu kam der Vorwurf Meier-Graefes, man betrachte die Kunst mehr unter nationalistischem, denn unter künstlerischem Aspekt. Alfred Lichtwark war mit beiden eng befreundet. Diese drei waren auf das Engste mit dem modernen Kunstleben verbunden und hatten sich das Ziel gesteckt, die eigene Sicht auf die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts zu realisieren. Ihr am Malerischen geschultes Auge mußte eine Ausstellung entstehen lassen, die von den bisherigen Höhepunkten deutscher Kunst in wesentlichen Punkten abwich und die kunsthistorischen Akzente neu setzte. Obwohl beispielsweise die Ausstellungen der Berliner Sezession die Malerei von Arnold Böcklin, Wilhelm Leibl oder Hans Thomagif zeigten, Maler die auch auf der Jahrhundertausstellung als Schwerpunkte vertreten waren, so können dennoch die Ausstellungen der Berliner Sezession und die Jahrhundertausstellung nicht miteinander verglichen werden. Die Betonung der Form als Qualitätskriterium war beiden gemeinsam. Der wesentliche Unterschied lag darin, daß die Jahrhundertausstellung einen kunsthistorisch-wissenschaftlichen Ansatz hatte, während die Ausstellungen der Berliner Sezession mehr der aktuellen Bestandsaufnahme galten.



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Christian Guenther
Fri Aug 22 13:11:17 MET DST 1997