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Die Bewertung der Jahrhundertausstellung in der Presse und in Überblicksdarstellungen zur deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts

Faßt man die Grundtendenz der Rezensionen in der Presse und die Erwähnungen der Ausstellung in den in der Folgezeit erschienenen Büchern zum Thema zusammen, so war diese Tendenz das Bewußtsein, durch die Ausstellung einen völlig neuen Gesichtspunkt auf die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts bekommen zu haben.gif Dieses Bewußtsein beinhaltete auch, daß man die gezeigten Künstler teilweise als neu aufgetauchte Meister betrachtete oder sie als einen nicht zu vernachlässigenden Teil der Kunstgeschichte dieser Zeit sah. Daß es sich bei dieser Ausstellung um eine sehr bedeutende Veranstaltung handelte, die ihren Einfluß auf die Kunstgeschichtsschreibung ausüben würde, wurde nicht angezweifelt und bestätigte sich auch in den folgenden Jahren. Das erste Mal bekam man einen mehr oder minder vollständigen Überblick über den Zeitraum von 1775 bis 1875. ,, Auch das ist ein Gewinn der deutschen Jahrhundertausstellung, daß sie uns die Unzulänglichkeit der Grundlagen des Urteils über die Kunst nicht nur der Gegenwart, sondern der nächsten Vergangenheit sehr lebhaft vors Auge gestellt hat.``gif Das hier zum Ausdruck gebrachte Empfinden mit der Ausstellung eine Darstellung bekommen zu haben, die Einfluß auf die Betrachtung der Kunst der Gegenwart und der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts haben würde, war nicht nur das von Alfred Lichtwark.  Auch Fritz Stahl  schreibt in einem Artikel im Berliner Tageblatt: ,, Unser Urteil über die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts hatte bisher keine sichere Grundlage. Was ihre Geschichtsschreiber von ihr erzählten, war zum Teil abhängig von dem, was die Zeitgenossen von den Künstlern jeder Generation gesagt und geschrieben hatten.``gif Die gesamte Ausstellung diente in der Folgezeit als Grundlage für die weitere Beschäftigung mit dem Thema.

Man kann davon ausgehen, daß die Erwartungshaltung des Publikums sehr hoch war, wenn man bedenkt, daß aus diesem Anlaß die Nationalgalerie mehrere Monate geschlossen war. Die Stimmung unter den Besuchern, die sich seit dem 25. Januar 1906 durch die Ausstellungsräume bewegten, kann in einer Nuance durch Alfred Lichtwark  deutlich gemacht werden, auch wenn es seinerseits sicher ein wenig übertrieben dargestellt ist: ,, Berlin ist doch eigentlich ein schlechter Boden für solche Unternehmungen. Niemand freut sich an dem, was da ist. Niemand vermag sich hinzugeben. Jeder sucht sich wichtig zu machen, indem er eine Miene aufsetzt, als hätte er schon alles gekannt, oder indem er auf Lücken und Fehler aufmerksam macht, wirkliche und eingebildete. Die Leute verderben sich selber den Spaß, oder vielmehr sie vergnügen sich mit allen Schlechtigkeiten, die sie in ihrer Seele haben. Es ist eine Gesellschaft, die allen Trieben und Lastern des Hasses und Neides fröhnt`` .gif Die Pressereszensionen waren dennoch überwiegend positiv und spiegeln den Erfolg des Unternehmens wieder. Die Neubewertung wurde im Wesentlichen angenommen und das Werk der eher unbekannten Maler mit Erstaunen, ja teilweiser Euphorie zur Kenntnis genommen. Dennoch kann man auch sagen, daß die Jahrhundertausstellung das zusammenfaßte, was in den Jahren zuvor in zahlreichen Ausstellungen, die sich meist mit lokalen Künstlern beschäftigten, in Ansätzen bereits zu sehen war. Schon 1886 wurden in einer retrospektiven Abteilung der Jubiläumsausstellung anläßlich des 100-jährigen Bestehens der Akademieausstellungen nahezu 50 Künstler mit bis zu 25 Werken gezeigt, die auch 1906 vertreten waren.gif Erinnert sei ebenfalls an die umfassenden retrospektiven Abteilungen 1904 in Dresden und 1905 in Düsseldorf, sowie an die der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts gewidmeten kleineren Ausstellungen in Frankfurt und Hamburg im gleichen Jahr. Das Einzigartige der Jahrhundertausstellung war es, daß es gelang, diese Tendenz zusammenzuführen, durch weitere, bisher nicht oder wenig beachtete Maler neue Höhepunkte zu schaffen und eine Entwicklungslinie der deutschen Malerei über diesen Zeitraum zu zeigen. Das Burlington Magazine faßt dies mit den Worten zusammen: ,, Many local exhibitions have already taken place, to show what has been attained in this direction so far. The present Berlin show is the first general muster.``gif  Dadurch konnte in den Augen der Betrachter ein Überblick entstehen, der bewußt machte, daß es in der deutschen Kunst der ausgestellten Zeit noch eine andere, eher wenig beachtete Qualität gab. ,, Bisher hat der Glaube geherrscht, daß die Lehre des Cornelius am Anfang, der Unterricht Pilotys in der Mitte, die Satzung Anton von Werners am Ende des neunzehnten Jahrhunderts die Entwicklung beeinflußten.``gif Dieser Glaube wurde in wesentlichen Punkten zerstört und zugunsten anderer Schwerpunkte, die außerhalb der akademischen Tradition lagen, verschoben. Bezugnehmend auf die vorjährige retrospektive Abteilung im Lehrter Stadtbahnhof schrieb Emil Heilbut : ,, Noch konnte es indessen geschehen, dass ein Maler wie der relativ bescheiden zu bewertende Carl Friedrich Lessing in ihr als scheinbarer Höhepunkt dessen, was die deutsche Landschaft im neunzehnten Jahrhundert erreicht hat, betrachtet wurde. Das ist, seit die Jahrhundertausstellung ihre Thore geöffnet hat, vollkommen unmöglich geworden.``gif Franz Dülberg kam gar zur Erkenntnis, daß die Jahrhundertausstellung der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts ,, ein für allemal ihre Ehre rettet``gif, eine Meinung, die Lovis Corinth in seinen Erinnerungen mit den Worten ,, ... diese Ausgrabung Verstorbener sollte auch zugleich eine sogenannte , Rettung` bedeuten, und zwar eine Ehrenrettung der gesamten deutschen Kunst``gif als ein Ziel der Ausstellung bezeichnete.

Eine der wichtigsten Fragen, die immer wieder vordergründig oder mitschwingend auftauchte, war die nach dem französischen Einfluß auf die Kunst dieser Zeit. Das Spektrum der Antworten reicht dabei von deutschtümelnd jeden Einfluß verleugnend bis zur Erkenntnis, daß die Entwicklung einer impressionistischen Malerei
auch in Deutschland nachvollzogen werden könne und dies in Zusammenhang mit der französischen Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts gesehen werden muß. L.Réau macht in seinem umfangreichen Artikel darauf aufmerksam, daß die Kunst in Deutschland am Ende des 18. Jahrhundert auch von französischen Meistern geprägt war. ,, N'oublions pas, en effet, que malgré le campagne de Lessing contre Voltaire, le goût français régnait encore partout. Les statues de Pigalle et des Adam décoraient les terasses de Sans-Souci; les chefs-d'vre de Watteau ornaient les appartements de Potsdam.`` gif Da Réau außerhalb der deutschen Diskussion standgif, kann er ohne Rücksicht seine eigenen Schlüsse ziehen. Interessanterweise folgt er in den Hauptpunkten den Intentionen der Initiatoren. Die Linie, der er aufzeichnet endet bei Max Liebermann und seiner Tendenz zur impressionistischen Malerei. Er sieht ihn in einer Entwicklungslinie, die nicht zuletzt auch von französischer Kunst geprägt war.

Willy Pastor schrieb in seiner Rezension zur Frage des französischen Einflusses: ,, Die Vorherrschaft der französischen Malerei sollte gezeigt werden, und die Selbstherrlichkeit der deutschen Malerei war nie so unbestreitbar wie heute. Oft kehrt sich das Verhältnis um, und das mißachtete Deutschland hat die Hegemonie über den Westen`` .gif Die hier an einem Beispiel gezeigte Position ist wohl die typischste. Die sich in der Ausstellung zeigenden Eigenheiten der deutschen Kunst wurden zum Anlaß genommen, jeglichen Einfluß von außen zu negieren und die Entwicklung während des 19. Jahrhunderts als eine völlig eigene hinzustellen. Hinzu kam der Vorwurf, daß speziell im Erdgeschoß den modernen impressionistischen Tendenzen ein zu breiter Raum eingeräumt worden war.gif In diesem Zusammenhang läßt sich auch die Tendenz bemerken, daß man dieses Geschoß der Ausstellung nur bedingt zugehörig empfand. Die schon im Vorfeld der Ausstellung auftauchende Behauptung, daß es sich bei der Jahrhundertausstellung um eine Legetimierung sezessionistischer Kunst soll, fand hier neue Nahrung. ,, Das klassische Werk der Franzosengänger hat Julius Meier-Graefe   geschrieben. Es führt den Titel , Entwicklungsgeschichte der modernen Malerei` . Von der genannten Sondervorführung ist nun behauptet worden, sie böte nach Auswahl und Anordnung lediglich ein reiches Illustrationsmaterial für die Deutschland betreffenden Abschnitte des Meier-Gräfschen Werkes. Der dies Urteil formulierte, dürfte die Wahrheit ausgesprochen haben.``gif In den Münchner ,, Lustigen Blättern`` erschien eine das Ausstellungsplakat von Peter Behrens benutzende Karikatur. Auf dem Giebel der Nationalgalerie sind drei Figuren gezeichnet, die mit von Tschudi, Lichtwark und Meier-Graefe bezeichnet sind. Auf dem Reiterdenkmal sitzt Liebermann und zu seinen beiden Seiten Leibl und Trübner. Den Eingang flankieren Bruno und Paul Cassirer. Unter der Karikatur war folgendes Spottgedicht abgedruckt:

,, Vorhanden sind nicht: die allermeisten;
Dafür sind da: die Grellen und Dreisten.
Das Grundmotiv: Enorme Courage;
Das Resultat: Jahrhundert-Blamage;
Die ganze Geschichte wirkt auf Sie
Wie ein Bluff von Graefe und Companie;
Kurz, Zweck und causa expositionis:
Ad majorem gloriam Secessionis! ``gif

Die Vorstellung von Tschudis , durch die Begrenzung der Ausstellung bis zum Jahr 1875 diese aus aktuellen Streitigkeiten um den Wert der moderneren Malerei herauszuhalten, gelang also nicht. Max Liebermann in solchem Maße zu zeigen, mußte dem Vorwurf neuen Auftrieb geben, daß es sich bei dieser Etage um eine Bevorzugung impressionistischer Tendenzen handelt. Zusätzlich war speziell aus Bayern die Verägerung zu spüren, die Jahrhundertausstellung hätte das eigene Vorhaben eine ähnliche Ausstellung zu veranstalten verhindert, obwohl bereits Ende 1905 klar war, daß man sich in Bayern auf die Zeit zwischen 1800 und 1850 beschränken und vor allem bayrische Kunst ausstellen würde. In seiner Rezension für die bayrische Ausstellung schrieb  Franz von Reber: ,, Uns erschien die Berliner Darbietung in ihrer Überfülle erdrückend, in der Mannigfaltigkeit der lokalen wie der zeitlichen Entwicklungsphasen uneinheitlich, ja verwirrend: die Münchner Ausstellung ist organischer, intimer.``gif

Weitere Mittelpunkte in den Rezensionen waren einzelne ausgestellte Künstler. Die längeren Berichte über die Jahrhundertausstellung vollzogen fast immer einen Rundgang durch die Ausstellung und fügten dabei zu einzelnen, ihnen hervorhebenswert erscheinenden Künstlern oder Schulen längere Anmerkungen hinzu. Diese erstreckten sich manchmal über mehrere Seiten und waren mit Abbildungen versehen. Ansonsten bemerkte man mit ein oder zwei Sätzen an, was die persönliche Meinung war. Bis auf einige Ausnahmen divergierten die Meinungen zum Teil beträchtlich. Hans Rosenhagengif hebt die   Nazarener im Gegensatz zu Ferdinand Labangif hervor, der sie mehr als eine Sackgasse ansah. Beide empfanden jedoch die Kunst des Hans von Marées als äußerst bemerkenswert. Ebenso stellte Rudolf Klein in seinem Artikel seine Zeichenkunst Hans von Marées' als einen Höhepunkt in der Präsentation im Neuen Museum dar.gif Klein bemerkte übrigens recht bissig zu den Zeichnungen von Asmus Jakob Carstens: ,, Carstens'  der griechischen Mythologie entnommenen Kompositionen gleichen daher einer Ansammlung oder, wo der Vorwurf es mit sich bringt, einer Schiffsladung anatomischer Gipsmodelle mit freigelegter Muskulatur.``gif

 Besonders trat die Beschäftigung mit Caspar David Friedrich hervor.   Die Begeisterung für seine Kunst ging teilweise so weit, ihn als den eigentlichen ,, Sieger`` zu betrachten. Positive Bewertungen standen in nahezu jedem Artikel, der zur Jahrhundertausstellung erschien und seinen Namen erwähnte. Obwohl sich in verschiedenen Sammlungen bereits Werke von Friedrich befanden, hatte man diesen in den letzten Jahren oder Jahrzehnten keine größere Beachtung mehr geschenkt. Ein großer Aufsatz über Friedrichs Kunst von Andreas Aubert über vierzehn Seiten in der Zeitschrift Kunst und Künstler schien nur bedingt Resonanz gefunden zu haben.gif Ferdinand Laban berichtet in seiner umfangreichen Rezension: ,, Der Name war damals für mich Schall. Auch in Muthers anregendem Werk kam er nicht vor.``gif Nun war Friedrich mit zahlreichen Gemälden zu sehen und man konnte einen guten Überblick über sein Werk bekommen. Während Laban mit seiner Bemerkung ,, Und dieser Friedrich ist immerhin eine Art Clou der retrospektiven Ausstellung, ein bescheidener zwar, aber doch einer.``gif noch zurückhaltend war, so gab sich Emil Heilbut sehr euphorisch mit den Worten: ,, Dennoch müssen wir sagen, die Ausstellung ist ein Triumph für einen Maler, für Caspar Friedrich... Friedrich ist in seinem Wert erkannt.``gif Ähnlich überrascht war man von  Ferdinand von Rayski, der erstmals einem größerem Publikum gezeigt wurde. Laban bezeichnete ihn als hervorragend und Hans Rosenhagen gestand, daß man ,, in Ferdinand von Rayski einen bisher völlig unbekannt gebliebenen, aber höchst respektablen Maler vorzuführen vermochte.``gif Trotzdem, so meinte er, solle man ihn nicht überbewerten. Berlin,  bisher eher nicht als Kunstzentrum wahrgenommen, rückte Dresden, München und Hamburg gleichberechtigt zur Seite. ,, Das Ueberraschendste aber war das Bild, das uns von der Berliner Kunst geboten wurde. Altberlinische Kunst- die meisten Berliner überläuft es. Aber wie wir hier sehen, machte sie durchaus keine lächerliche Figur zwischen den Kunststätten Mittel- und Westdeutschlands, sondern behauptete sich in allen Ehren.``gif Dabei stach der stark vertretene Franz Krüger, der bereits aus dem letzten Jahr bekannte Adolph von Menzel und Eduard Gärtner heraus.

Die Wirkung der Jahrhundertausstellung läßt sich auch an der kunsthistorischen Literatur, die unmittelbar nach der Ausstellung erschien, ablesen. Kenworth Moffet stellt fest: ,, Interest in the German art of the nineteeth century was stimulated, Books now appeared on the major artists and museums became interested in aquiring works of this periods`` .gif Tatsächlich begann eine starke Beschäftigung im kunsthistorischen Bereich, die sich in zahlreichen neu erschienenen Büchern und Zeitschriftenartikel ausdrückte.gif Eine Erwähnung der Bedeutung dieser Ausstellung zieht sich bis in die neueste kunsthistorische Literaturgif. Übersichtsdarstellungen, die in den folgenden Jahren erschienen, setzten ähnliche Schwerpunkte, wie die Ausstellung.

Richard Hamann  brachte schon während der Ausstellung einen Führer heraus, der in drei Heften einen Gang durch die Jahrhundertausstellung vollzog und neben anderen Publikationen eine Alternative zu den offiziellen Katalogen bildete.gif 1913 veröffentlichte er eine Übersichtsdarstellung zur deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts gif, die hier beispielgebend einer genaueren Betrachtung unterzogen werden soll.

Hamann bezieht sich in seinem Buch explizit auf die Jahrhundertausstellung und zieht in gewissen Grenzen die dort gelegten Schwerpunkte nach. ,, Jedenfalls aber ist das größte Verdienst der Jahrhundertausstellung deutscher Malerei im Jahre 1906 gewesen, daß sie eine überwältigende Fülle wenig oder gar nicht beachteter Werke ans Licht gezogen hat, die beweisen, daß neben einer offiziellen, formal und inhaltlich gebundenen Kunst sich anfangs im stillen, dann immer mehr hervortretend, eine andere intime, nur der Augenfreude dienende Kunst entwickelt hat... Die Ausstellung hatte ja deutlich die Tendenz, zu zeigen, daß das angeblich Neue und Unerhörte, die rein malerische oder impressionistische Auffassung... gar nicht so neu war. Es hatte eine Geschichte, die mit dem Werden des modernen Geistes im 19. Jahrhundert parallel ging.``gif Seine Übersicht setzt ebenfalls um 1775 ein und erstreckt sich bis zum Neoimpressionismus. Die Namen der besprochenen und erwähnten Künstler liest sich wie eine Wiederholung des Kataloges der Ausstellung von 1906. Interessant ist, daß er, ebenfalls in ähnlicher Weise wie die Jahrhundertausstellung, für die Kunst der Mitte des 19. Jahrhunderts eine örtliche und keine personelle Einteilung vornimmt. Als Zentren werden bei ihm Hamburg, Berlin, Wien und München genannt. In der sich mehr dem Ende des Jahrhunderts zuneigenden Kunst, die Zeitspanne, die mit dem Erdgeschoß der Nationalgalerie vergleichbar ist, geht er dann zu einer personellen Strukturierung über, die ihre einzelnen Kapitel in den Werken von Arnold Böcklin, Anselm Feuerbach, Hans von Marées, Hans Thoma und Wilhelm Leibl findet. Die Kriterien, die er für die Bewertung der Kunstwerke in seinem Buch ansetzt, sind nicht inhaltlicher, sondern formaler Natur. Das ,, Malerische`` steht im Vordergrund.

Als weiteres Beispiel soll Hermann Beenkens ,, Das neunzehnte Jahrhundert in der deutschen Kunst``gif herangezogen werden. Beenken geht in seiner Einleitung nicht direkt auf die Jahrhundertausstellung ein. Er strukturiert den Abschnitt über die Malerei nach inhaltlichen Aspekten. Unter dem Thema Natur und Mensch unternimmt er einen Vergleich der Landschaftsauffassung verschiedener Maler angefangend bei Karl Rottmann und Ferdinand Waldmüller, endend bei Franz Marc. Trotzdem kann man bei ihm den Einfluß der Jahrhundertausstellung feststellen. Dieser Einfluß ist nicht mehr unmittelbar, dazu lag die Ausstellung zu lange zurück, aber die in dieser Ausstellung neu gesetzten Bewertungskriterien schienen inzwischen schon so sehr Allgemeingut der Kunstgeschichte geworden zu sein, daß sie auch in seiner Darstellung Eingang fanden. Die von ihm als Beispiele herangezogenen Maler sind wieder die damals neu- oder wiederendeckten Künstler wie Caspar David Friedrich, Philipp Otto Runge, Moritz von Schwind oder Carl Spitzweg, um nur einige zu nennen. Sogar Ferdinand von Rayski bekam einen eigenen Abschnitt über zwei Seiten. Dieser Abschnitt erwähnt auch das einzige Mal direkt die Jahrhundertausstellung.gif Das Bild des Neuartigen, das noch die Besucher der Jahrhundertausstellung fasziniert und begeistert hatte, ist wahrscheinlich seit den dreißiger Jahren fester Bestandteil der Kunstgeschichte geworden, ohne noch angeweifelt zu werden.gif

Betrachtet man Übersichtsdarstellungen zur deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts die vor 1900 erschienen sind, so lassen sich andere Strukturen festmachen.gif Die Betrachtung vollzieht sich nicht an einem Aufzeigen hauptsächlich formaler Aspekte, die eine gewisse Entwicklungslinie malerischer Ausdruckstechniken nachziehen will, sondern nimmt meist eine Einteilung nach inhaltlichen Aspekten vor. Die malerische Qualität der genannten Kunstwerke wird nur in geringem Maße erwähnt. Der inhaltliche Aspekt steht im Vordergrund. Hermann Becker gibt in seiner Darstellunggif zwar den Orten Dresden, Düsseldorf und Berlin ein eigenes Kapitel und bezeichnet sie als Schulen, faßt sie jedoch alle unter dem Begriff Romantiker zusammen. Alle weiteren Abschnitte widmen sich jeweils einer Gattung wie der Geschichtsmalerei, der Porträtmaler oder der Architekturmalerei. Die in der Jahrhundertausstellung umfangreich präsentierten Künstler, wie Runge, Friedrich oder Feuerbach, werden ablehnend und meist nur kurz genannt. Zu Caspar David Friedrichs Bild ,, Ein Schiff vom Eise zeitrümmert`` schreibt er: ,, Es ist eine köstliche Naivität in diesem sonst ganz abgeschmackten Bilde``gif. An Feuerbach bemängelt er das fehlende Kolorit. Ludwig Pfau nimmt in seiner Darstellunggif fast die gleiche Einteilung wie Becker vor und orientiert sich ebenfalls vor allem an inhaltlichen Aspekten. Das wichtigste Kapitel ist bei ihm die Historienmalerei.

Die Rezeption der Jahrhundertausstellung beschränkte sich nicht nur auf Ankäufe oder Publikationen, sondern fand auch unmittelbar Eingang in den akademischen Betrieb an Lehranstalten. Schüler- und Studentengruppen wurden in Führungen mit den ausgestellten Kunstwerken in Berührung gebracht. Diese Führungen waren in manchen Fällen mehrteilig und wurden stark in Anspruch genommen. ,, Das Lyzeum des Westens wird einen besonderen Zyklus von sechs Führungen durch die Jahrhundertausstellung (Dozent: Fritz Stahl) veranstalten, da für den ersten Vortragszyklus keine Karten mehr ausgegeben werden konnten.`` gif In der Folgezeit wurden an Universitäten Vorlesungen gehalten, die sich unmittelbar auf die Ausstellung bezogen. Damit wurde die Neubewertung der deutschen Kunst im 19. Jahrhundert direkt in den universitären Betrieb transportiert, eine Tatsache, die sicher den Intentionen der Veranstalter entsprach. Im Berliner Tageblatt vom 7. März 1906 findet sich eine Notiz, die dies verdeutlicht: ,, Die Deutsche Jahrhundertausstellung wird im kommenden Sommerhalbjahr zum Gegenstand akademischer Vorlesungen an der Universität Berlin gemacht. Privatdozent Dr.Weisbach spricht im Anschlusse an sie über die deutsche Malerei des neunzehnten Jahrhunderts`` . gif



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Christian Guenther
Fri Aug 22 13:11:17 MET DST 1997